Experte für Cybermobbing über die Jugend-App SLAY
In der Folge @mediasres-Folge vom 10. Januar 2023, dem Medienmagazin des Rundfunksenders Deutschlandfunk, äußert sich der Experte für Cybermobbing Christian Scherg zur Jugend- und Schüler:innen-App SLAY. Im Beitrag Digitalvergleiche ohne Mobbing? Die Jugendapp SLAY redet der Geschäftsführer der REVOLVERMÄNNER GmbH, der Düsseldorfer Kommunikationsagentur für Online-Reputationsmanagement, im Interview mit Anika Reker über die neue „Feelgood-App“ für Teenager. Diese wurde von den Berliner Entwicklern als „Gegenmittel für die heutige toxische Medien- und Social-Media-Nutzung“ konzipiert.
SLAY – Die Feelgood-App für „Spaß, Liebe und Positivität“?
Die im Oktober 2022 gestartete App SLAY, welche sowohl für Apple iOS als auch für Google Android kostenlos erhältlich ist, wirbt mit Slogans wie „Let the Love in“, „Finde heraus, wer dich mag“, einer Garantie für „0% Negativität“ und der bewussten Verbreitung von „Liebe und Positivität“. Sie richtet sich an sämtliche Jugendliche beziehungsweise Schüler:innen mit einem kompatiblen Smartphone und soll eine Art Safe Space im Internet bieten. In der Jugendsprache der vergangenen Jahre steht der englischsprachige Begriff slay, welcher eigentlich abschlachten, ermorden oder erschlagen bedeutet, für positive Aspekte wie besonders selbstbewusste Personen und Handlungen.
Im Unterschied zu gängigen Social-Media-Plattformen wie etwa Instagram oder TikTok liegt der Fokus bei SLAY nicht auf der eindeutigen Selbstdarstellung, oftmals toxischen Kommentaren oder privaten Nachrichten und zahlreichen Möglichkeiten für das Mobbing beziehungsweise Cyber-Mobbing einer Person, sondern auf Positivität und Anonymität.
Stattdessen können sich Schülerinnen und Schüler, welche bei SLAY angemeldet sind, gegenseitig Komplimente oder anonyme Umfragen schicken. Diese sind, im Gegensatz zu anderen Social-Media-Portalen, vorgefertigt und moderiert. Damit sind Mobbingversuche durch usergenerierte Umfragen wie etwa „Wer ist das hässlichste Girl in der 7D?“ gar nicht erst möglich. SLAY verzichtet zudem auf Kommentar- und Chat-Funktionen. So können auch auf diesem Wege keine jugendlichen User angegriffen, beleidigt oder aus der Anonymität gerissen werden.
Eine Schüler-App als „Online-Utopia“ frei von Hass und Mobbing?
Dafür stellen die Macher der App nach eigenen Aussagen ganz bewusst „Positivity“ und Spaß in den Vordergrund; SLAY soll eine Art Safe Space bieten, der frei ist von Beleidigungen, Mobbing und dem üblichen Druck des sozialen Umfelds in Schulklassen. Stattdessen soll das Selbstbewusstsein der Nutzer gestärkt werden. Dies soll unter anderem dadurch erreicht werden, dass Schülerinnen und Schüler durch das Erhalten von Komplimenten oder das positive Abschneiden in den (anonymen) Umfragen Punkte in Form von sogenannten Slays erhalten.
Damit scheint die App, so der Bericht von @mediares und Deutschlandfunk, zumindest zur Veröffentlichung im Herbst 2022 einen Nerv getroffen zu haben. In den ersten zwei Monaten wurden mehr als 250.000 Downloads der kostenlosen App registriert. Zwischenzeitlich führte SLAY sogar die deutschen App-Charts an.
Christian Scherg, Gründer und Geschäftsführer der Düsseldorfer REVOLVERMÄNNER GmbH, betrachtet die neue Plattform allerdings mit ambivalenten Gefühlen. „Es ist ganz wichtig, gerade in der jetzigen Zeit, dass man positive Verstärkung bekommt, besonders bei den Kindern und Jugendlichen“, so der Experte für Cybermobbing Scherg im Interview mit @mediares. Im Anschluss betont er jedoch: „Diesen hehren Anspruch, dass es ein Safe Space ist, wo nichts passieren kann, wo auch drumherum nichts passiert, wo man vollkommen geschützt ist – diesen Zahn würde ich der App auch ziehen wollen“.
Experte für Cybermobbing Christian Scherg über jugendliche Vergleiche, Rankings und das Umgehen vermeintlicher Safe Spaces
Das Punkte- und Ranking-System von SLAY sieht der Experte für Cybermobbing Christian Scherg dabei als besonders kritisch. „Gerade in einer Phase, in der man sich ganz intensiv miteinander vergleicht, ist das wieder eine weitere Vergleichsmöglichkeit. Diese wird eingeräumt in einem ‚Safe Space‘, aber die Auseinandersetzung darüber, warum ich in diesem Safe Space so stehe, warum ich so wenige oder so viele Slays habe – diese Auseinandersetzung findet auf dem Pausenhof und in der Schulklasse statt“.
SLAY sei damit, so Scherg weiter, eben auch Anreiz und Anlass für weiteres Mobbing unter den jugendlichen Schülerinnen und Schülern außerhalb der Anonymität und vermeintlichen Sicherheit der App.
Erziehenden empfiehlt er zudem, die App und die Online-Aktivitäten ihrer Kinder auch weiterhin zu beobachten. Man dürfe sich auf der Behauptung, dass etwas ein geschützter Raum sei, nicht ausruhen. Mit der Zeit und diversen Updates könnten durch neue oder veränderte Funktionen von SLAY auch neue Risiken und Schlupflöcher für Cyber-Mobbing entstehen. Schließlich kennt die „Kreativität“ von Kindern und Jugendlichen, wenn es darum geht, Mitschüler:innen zu mobben und öffentlich zu demütigen, oftmals kaum Grenzen.