Medienkompetenz von Kindern fördern
Medienkompetenz von Kindern fördern, sollte oberste Priorität haben. “Im Internet ist Kontrolle nahezu unmöglich”, sagt Christian Scherg, Experte für Online-Krisenkommunikation und Cybermobbing, in einem Interview mit der Münchner Abendzeitung zum diesjährigen Safer Internet Day. Durch Corona haben sich die Probleme sichtlich verschärft. Der Kommunikationsexperte erläutert die Rolle der Schule bei Strategien zu einer nachhaltigen Entschärfung der Situation.
Der Safer Internet Day findet jährlich im Februar statt und hat den Schutz Jugendlicher vor Gefahren im Internet zum Gegenstand. Dass sich die Gefahrenlage durch die Pandemie weiter verschärft hat, weiß Christian Scherg aus seiner beruflichen Praxis. “Die Konflikte haben sich durch das Homeschooling vom Pausenhof ins Netz verlagert”, sagt der Cybermobbing-Coach. “Dort treffen sie auf eine ohnehin schon grassierende Mobbing-Kultur und machen die Situation brisanter denn je.”
Vor allem die unübersichtliche Struktur in den sozialen Netzwerken wie Instagram, WhatsApp-Gruppen, Telegram und anderen machen eine wirksame Kontrolle so gut wie unmöglich. Auch andere Kommunikationsformen wie E-Mail, Chat–Foren, Computerspiele oder Videokonferenzen sind Kanäle für Cybermobbing und Hassbotschaften. “Was fehlt, ist die universelle Aufklärung und Unterstützung für die Kinder, aber auch für die Eltern”, sagt Christian Scherg. “Hier können die Schulen eine Schlüsselrolle übernehmen.”
Unzureichende Aufsicht der Eltern
Dass Eltern vielfach ihrer Verantwortung bei der Aufsicht über die Online-Aktivitäten ihrer Kinder nicht gerecht werden, hängt meist nicht mit Nachlässigkeit zusammen. “Die Eltern sind einfach überfordert”, weiß Christian Scherg. “Die Vielfalt an Kommunikationsmöglichkeiten im Netz lässt sich von den Eltern meist nicht voll erfassen – gerade jetzt, bei der noch intensiveren Nutzung während des Lockdowns.”
Was fehlt, ist universelle Aufklärung und Unterstützung. “Die Schule ist der ideale Informationskanal für Online-Kompetenz. ”, sagt der Kommunikationsexperte. “Sie hat nicht nur den direkten Kanal zu den Jugendlichen, sondern auch zu den Eltern, um sie bei ihren Führungsaufgaben zu unterstützen.”
Medienkompetenz von Kindern fördern – Das Einstiegsalter sinkt
Das Alter, in dem Kinder sich erstmals mit Online-Kommunikation befassen, sinkt beständig ab, so das Ergebnis einer Bitkom-Studie aus dem Jahr 2019. Demnach besitzen rund 75 Prozent aller Zehnjährigen ein Smartphone. 97 Prozent der Kinder ab zwölf Jahren nutzen sporadisch das Internet.
“Die mobile Kommunikation erfordert neue Basiskompetenzen”, sagt Christian Scherg. “Das richtige Verhalten im Netz ist heute für die Sicherheit genauso wichtig wie das umsichtige Verhalten im Straßenverkehr.”
So, wie Eltern ihre Kinder erst alleine auf die Straße lassen, wenn ihnen die Verkehrsregeln in Fleisch und Blut übergegangen sind, so selbstverständlich sollte es sein, ihnen das richtige Verhalten im Internet zu vermitteln, bevor sie sich den Gefahren und Herausforderungen des Cyberspace stellen dürfen. “Ich plädiere nicht für ein bestimmtes Einstiegsalter”, sagt der Kommunikationscoach. “Ich plädiere für die schulische Internet-Erziehung mit offiziellem Abschluss, ähnlich dem Fahrrad-Führerschein. Wir müssen die Medienkompetenz von Kindern fördern. Das erfordert allerdings, auch die Medienkompetenz der Lehrer zu fördern.”
Technische Hilfsmittel für bessere Online-Sicherheit
Die technische Infrastruktur entscheidet maßgeblich über die Sicherheit für junge Internetnutzer. Grundsätzlich sollten Kinder über eigene Benutzerkonten verfügen, die mit Filterfunktionen gegen unangemessene Inhalte ausgestattet sind. “Empfehlenswert ist die kostenlose Anwendung KinderServer”, sagt Christian Scherg. “Sie gibt nur Webseiten frei, die für Kinder unter zwölf Jahren geeignet sind. Mit zum Paket gehören die Suchmaschinen FragFinn und Blinde Kuh, die auf kindgerechte Inhalte ausgerichtet sind.”
KinderServer bietet auch Raum für individuelle Einstellungen. So können Eltern auf einer Whitelist spezielle Inhalte eintragen, die sie ihren Kindern zugänglich machen wollen. “Und was das Wichtigste ist: Google und Facebook sind gesperrt”, sagt Christian Scherg. “Stattdessen gibt es so nützliche Dinge wie die Kinder-orientiert Startseite Seitenstark.de.”
Gefahren frühzeitig erkennen – Herausforderung für die Eltern
“Die wichtigste Aufgabe der Eltern ist die Aufklärung”, sagt Christian Scherg. “Sie müssen ihre Kinder nicht nur für die möglichen Gefahren sensibilisieren, sondern ihnen auch in der wirklichen Welt zu einer gesunden und starken Selbstwahrnehmung verhelfen.”
Psychisch stabile Kindern sind gegen die Abgründe und Risiken im Internet besser geschützt als andere. Sie entwickeln die Fähigkeit, im Netz Grenzen zu erkennen und wahrzunehmen, wenn die eigene Würde verletzt wird.
“Zu diesem Zweck setzen mein Team und ich in den Schulen den Cybermobbing-Simulator ein”, berichtet der Kommunikationsexperte. “Er zeigt auf anschauliche und teilweise auch erschreckende Weise auf, wie schnell Cybermobbing entstehen kann und auf welchen psychologischen Grundlagen er aufbaut.” Der Simulator vermittelt den Kindern hautnah die persönliche Erfahrung beim Cybermobbing, sowohl aus der Täter- als aus der Opferperspektive.
“Das öffnet insbesondere potentiellen Tätern die Augen – vielfach machen sie sich keine Vorstellung von den Verwüstungen, die sie bei den Opfern anrichten”, sagt Christian Scherg. Und auch Lehrer lassen sich durch die Erfahrungen mit dem Cybermobbing-Simulator sensibilisieren.
“Wenn Eltern feststellen, dass ihre Kinder bei der Online-Kommunikation zunehmend angespannt und ängstlich sind, ist das ein deutliches Zeichen”, sagt Christian Scherg. “Dann sollten sie das Problem Cybermobbing offen und tabufrei ansprechen.”
Weitere Merkmale für Cybermobbing sind ein allgemeines Rückzugsverhalten des Kindes, der Versuch, die eigene Online-Kommunikation geheim zu halten, oder das Gerät hastig auszuschalten, wenn die Eltern das Zimmer betreten. “All das sind Alarmzeichen, die schnelle Hilfe erfordern”, sagt der Cybermobbing-Experte.
Medienkompetenz von Kindern fördern – Mobbing kann eine Straftat sein
“Ich wirke auf die Kinder ein, grundsätzlich die Eltern ins Vertrauen zu ziehen, wenn sie zum Mobbingopfer werden”, sagt Christian Scherg. Das versetzt die Eltern in die Lage, mit der Schule Kontakt aufzunehmen oder – wenn der Täter unbekannt ist – die Polizei zu verständigen.
“Cybermobbing ist kein Streich”, betont der Coach. “Die Auswirkungen auf die Opfer sind massiv und können lebenslange Folgen nach sich ziehen. Daher ist rasches und entschlossenes Handeln von Eltern und Schule unabdingbar.”
Geht es allerdings darum, diskriminierende oder beleidigende Inhalte wieder aus dem Netz zu entfernen, sind Privatpersonen oder die Schule meist machtlos. Hier ist professionelle Hilfe erforderlich, beispielsweise das Digital Schutzpaket der Telekom.
Das Angebot der Telekom umfasst Soforthilfemaßnahmen, um diskriminierende, beleidigende oder rufschädigende Inhalte aus dem Netz zu entfernen. Den Telekom-Experten stehen Wege offen, Kontakte und Ansprechpartner zu recherchieren, Löschungen auf den Weg zu bringen und auch einmal als Vermittler zwischen den Konfliktparteien aufzutreten.
Das Digital Schutzpaket unterstützt Mobbingopfer auch beim Durchsetzen von Gegendarstellungen oder der nachfolgenden Beobachtung der mit dem Fall zusammenhängenden Kommunikationskanäle.
“Gerade bei Cybermobbing ist die professionelle, auf den individuellen Fall abgestimmt Hilfe das A und O”, weiß Christian Scherg. “Das Ziel muss sein, das Leiden des Opfers möglichst rasch zu lindern.”